Selbst-Ermächtigung

Beim Prozess der Ermächtigung geht es darum, eine Person oder eine Gruppe in solcher Weise zu unterstützen, dass sie es schließlich schafft, sich auf eigene Beine zu stellen. Für das künstlerische und kulturelle Feld gesprochen sollte ein Ziel eines ermächtigenden Vorganges darin bestehen, dass die Person oder die Gruppe in die Lage versetzt wird, eine Initiative oder ein künstlerisches bzw. kulturelles Projekt aus eigener Kraft weiter zu betreiben. Geschieht dieser Prozess aus eigenem Antrieb und ganz oder größtenteils aus eigener Kraft, dann ist das Wort Selbstermächtigung angebracht.
Am Anfang einer ernstgemeinten Unterstützung eines Ermächtigungsvorganges, egal ob von außen angestoßen oder von sich Ermächtigenden gestartet, steht ein Bekenntnis. Nämlich der Wille, die Methoden künstlerisch-kultureller Praxis nicht nur zu vermitteln sondern auch den Zugang zu den verfügbaren Ressourcen zu teilen und das durch Praxis und Erfahrung erworbene Know-how für eigenständiges Agieren weiterzugeben. Man sollte keine Angst davor haben, zu viel Information bereitzustellen oder zu viel Wissen weiterzugeben, und am Ende des Tages sogar überflüssig zu werden. Denn wenn Menschen eine Fähigkeit nicht nur erlernen, sondern auch in der Lage sind in eigenverantwortlicher Weise ins eigene Tun überzugehen, dann ist es nur logisch, dass sie die „Anleitenden“ schlussendlich nicht mehr brauchen.
Als im Februar 2022 die großflächige russische Invasion über die Ukraine hereinbrach, startete
< rotor > in Graz gemeinsam mit tranzit.at in Wien und dem Künstler*innenhaus Büchsenhausen in Innsbruck sowie dem österreichischen Bundesministerium für Kunst, Kultur, öffentlicher Dienst und Sport (BMKÖS) das Office Ukraine – Shelter for Ukrainian Artists. Von dem Moment an haben zahlreiche Künstler:innen und Kulturarbeiter:innen aus unterschiedlichen künstlerischen Disziplinen in Österreich einen sicheren Aufenthaltsort gefunden. Das Team des Grazer Office Ukraine hat den Vertriebenen primär für den Bereich Graz und im Bundesland Steiermark bei der Wohnraumsuche, bei administrativen Fragen und in der Alltagsbewältigung Unterstützung geleistet. Das längerfristige Ziel war und ist, die neu in der Stadt und im Land lebenden Kunstschaffenden mit der heimischen Kunst- und Kulturszene zu verknüpfen. Und ihnen die Zugänge zu sämtlichen Leistungen und Programmen, die von öffentlichen Stellen und unabhängigen Organisationen angeboten werden zur Kenntnis zu bringen und zu erleichtern.
Nahezu alle 14 Tage wurden sogenannte Open Houses organisiert, die wechselweise im < rotor > sowie bei den verschiedensten anderen Einrichtungen aus den Feldern Kunst und Kultur, Soziales, Gesundheit, Arbeit usw. abgehalten wurden. Expert:innen aus den jeweiligen Bereichen haben über ihre Tätigkeit berichtet und die Arbeitsweisen österreichischer Organisationen und Einrichtungen offengelegt. So konnten die Teilnehmer:innen der Open Houses beispielsweise mit den Logiken der Institutionenlandschaft, der Struktur der Fördermöglichkeiten, der Abläufe auf dem Weg zur Gründung von eigenen Institutionen oder dem Beginn einer selbständigen künstlerischen Tätigkeit in Österreich vertraut gemacht werden. Der Großteil der Aktivitäten war darauf ausgerichtet, den neuen Mitglieder der Grazer und steirischen Kunstszene ukrainischer Herkunft den Einstieg in ihren Alltag als Kunstschaffende zu erleichtern.
Zu dem Zeitpunkt, als dieser Text geschrieben wird, dauert der vollumfängliche Krieg in der Ukraine drei Jahre und ebenso lang hat das Office Ukraine Bestand. Für den Krieg ist kein Ende in Sicht, für das Office Ukraine Graz zeichnet sich aber eine neue Entwicklung ab. Denn seit einigen Monaten hat die Grazer ukrainische Kunst-Community einen eigenen Ort der Kunstproduktion und -präsentation mit dem Namen ZIEGEL geschaffen. Und das Office Ukraine Graz kann sich glücklich schätzen, von Anfang an ein Vorhaben zu begleiten und logistisch zu unterstützen, dass auf der Selbstorganisation der ukrainischen Kolleg:innen im Rahmen der österreichischen Kunst- und Kulturlandschaft beruht. Und womöglich entwickelt sich das Projekt ZIEGEL in eine Richtung, in der die Tätigkeit des Office Ukraine Graz aufgehen könnte. Die Zukunft wird zeigen, ob diese Vision in Erfüllung gegangen ist.