Präfiguration

Präfiguration ist eine soziale Praxis, in der verschiedenste Organisationen der Zivilgesellschaft und politische und soziale Bewegungen nicht nur versuchen, das bestehende institutionelle System zu verändern, sondern auch die imaginierte Welt der Zukunft in der Gegenwart zu leben. Sie entwerfen keine ferne Utopie, sondern weben die Grundsätze und Strukturen, nach denen sie leben wollen, in den Alltag ein. Die ersehnte Welt ist kein Ziel, das es zu erreichen gilt, sondern eine im Entstehen begriffene Wirklichkeit.
Stellen Sie sich einen Garten vor, den Sie für die Zukunft anlegen – einen Garten, in dem Pflanzen gedeihen und überleben, die sich an Umweltveränderungen anpassen und Extremwetterlagen aushalten. Um einen Garten anzulegen, müssen wir ein Stück Natur nehmen und es nach unseren eigenen Vorstellungen umgestalten. Indem wir ihn einzäunen, schaffen wir nicht nur eine physische, sondern auch eine symbolische Grenze zwischen der Natur und unserer vom Menschen geschaffenen Umwelt. Innerhalb des Zauns bauen wir eine eigene Welt auf, die durch tausend unsichtbare Fäden mit der Außenwelt verbunden ist: Die Kommunikation zwischen den Mikroorganismen im Boden und den Wurzeln der Pflanzen erinnert uns daran, dass die Verbindung zwischen Garten und Natur – zwischen der Außenwelt und der Innenwelt – mit der Umzäunung nicht endet. Der Garten ist (wie) ein Spielplatz – ein Ort, an dem sich eine imaginäre Welt und die Realität treffen. Beide sind eine Art Weltmodell, dessen Regeln je nachdem, was wir über die Welt und uns selbst in ihr denken oder wie wir uns diese Welt vorstellen, gestaltet werden können. Es ist ein Fantasieraum, in dem alles gleichermaßen real wie irreal ist, aber dennoch ein wenig anders. Können wir den Garten als ein Modell für ein präfiguratives organisatorisches Funktionieren betrachten, das auf die sozialen und ökologischen Veränderungen um ihn herum reagiert und in dem die lebendige Welt, gestützt auf ihre internen Gesetze, Praxen der Resilienz, Kooperation und Solidarität verwirklicht?
Seit ihrer Gründung im Jahr 2014 legt die OFF-Biennale Budapest Wert auf Themen wie Freiheit, Spiel, Gemeinschaftsbildung, Demokratie, Solidarität und die Unabhängigkeit der kreativen Arbeit. Mit Hilfe der Präfiguration als Betriebsstrategie arbeitet sie an der Entwicklung eines Modells, das bestehende gesellschaftliche Normen und eingefahrene Mechanismen, die zu Kompromissen neigen, in Frage stellt und für die Zukunft plant, indem es trotz eines unsicheren institutionellen Umfelds auf der Gegenwart aufbaut. Es geht um die Suche nach Praxen hinsichtlich der Frage, wie man sich die Dinge anders vorstellen kann.
Der OFF-Playground, der im Rahmen des Projekts WHATIFS AND WHYNOTS: OFF-Playground auf der documenta fifteen in Kassel 2022 errichtet wurde, schuf die Bedingungen für ein gemeinsames Abenteuer und war gleichzeitig ein ernstzunehmendes Experiment. Er experimentierte mit einer präfigurativen Politik, indem man davon ausging, dass innerhalb des Zauns ein Spielplatz aus Räumen, Praxen und Gedanken, die von den Künstler:innen vorgeschlagen wurden – ein ineinandergreifendes Netz von Interaktionen – nicht durch das Transzendieren der Realität geschaffen werden kann, sondern tatsächlich mit der Absicht, Wirklichkeit zu schaffen, indem man einen Traum in eine Erfahrung verwandelt. Indem wir einen „imaginären“ Raum schaffen und unsere Sachen machen, bieten wir anderen die Möglichkeit, entweder darin ihren eigenen Platz einzunehmen oder neue Inseln, eigene Räume zu schaffen. Wir können hoffen, dass diese Inseln eines Tages miteinander verbunden sind. Die Spielregeln schaffen eine gemeinsame Basis, und wir hoffen, dass sich uns Gleichgesinnte anschließen werden. OFF „spielt“ als Institution mit verschiedenen kuratorischen und künstlerischen Projekten und Visionen, mit sozialen Kooperationen. Wir verhalten uns so, als wären wir eine große internationale Kunstinstitution mit einer soliden finanziellen und personellen Basis und einem unterstützenden Umfeld. Wir „performen“ und „präfigurieren“ eine unabhängige Institution, deren stärkstes Kapital in dieser geteilten Vision liegt.
Präfigurative Politiken, wie im Fall des Spielplatzes und des Gartens, werden eingesetzt, um die Kluft zwischen „Imagination und Realisierung“ zu überbrücken, d. h. um zu versuchen, eine imaginäre zukünftige Veränderung im Hier und Jetzt in einer kleinen, modellhaften Art und Weise aufzubauen. Allerdings wird dieser Modus, in dem die Fantasie permanent auf Trab gehalten wird, irgendwann ermüdend, und der Wagen verliert an Fahrt. Die Konturen der Vision verblassen, und die Vorstellungskraft ist erschöpft. Um die Batterien wieder aufzuladen, ist es wichtig, dass sich die einzelnen Ideen – die kleinen Inseln – nicht nur auf etwas zubewegen, sondern auch zusammenhalten. Damit das Erblühen des Gartens nicht nur von einem engen Kreis wahrgenommen und empfunden wird, sondern auch von anderen. Damit Menschen, die neugierig (oder misstrauisch) aus der Außenwelt hereinschauen, diese Welt auch betreten. Dies setzt zumindest voraus, dass sich möglichst viele von uns einen Garten vorstellen und ihn als strategisches, auf die Alltagswelt zugeschnittenes Tableau begreifen, das, wenn auch in kleinen Schritten, greifbare Alternativen zum gegenwärtigen System aufzeigen kann.